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Theaterprojekte / Hamlet
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Hamlet - die Tragödie
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“Die Tragödie Hamlets, des Prinzen von Dänemark”
Johannes Jung
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... schrieb William Shakespeare wahrscheinlich im Jahre 1601; also vor vierhundert Jahren.
Der Stoff reicht tief ins Mittelalter zurück. Die erste literarische Version findet sich im 12. Jahrhundert in den “Historia Danica” des dänischen Autors Saxo Grammaticus. Die unmittelbare Quelle für Shakespeare scheinen aber Francois de Belleforests “Histoires Tragiques” von 1582 zu sein. Die Überzahl an Deutungen, die das Stück gerade in Deutschland erfahren hat, mitsamt ihren willkürlichen Anverwandlungen und Übersetzungsfehlern bis ins einzelne (Hamlet war zum Beispiel nicht “fett”, sondern schwitzte in einer Situation) macht dem Leser die einfachere und zeitbezogenere Lektüre schwer. Er kann sich aber das Stück neu erschließen.
Zunächst einmal ist Hamlet, dem Wortlaut des Stücks folgend, nicht der weltfremde Träumer, zu dem die Romantiker ihn machten, sondern die Variation einer Figur, wie sie uns von Shakespeare immer wieder mit Sympathie dargestellt wird: gebildet, vornehm, mutig, gelehrt und staatsmännisch begabt, ein Freund des Theaters mit Qualitäten eines Regisseurs; aber bei all dem melancholisch, wie es die Renaissance dem herausgehobenen, wissenden Menschen immer wieder andichtete. Er allein ist es, der die Lage der Dinge durchschaut und sich durch klares Bewusstsein und kritische Distanz zu seiner Umwelt auszeichnet. Hamlet ist die differenzierteste Gestaltung des skeptischen Menschen an der Schwelle zur Neuzeit, der erkennt, dass sich der Gang der Dinge nicht mit naivem Willen beeinflussen lässt, dass sich die Widersprüche nicht mit einem Schlage aus der Welt schaffen lassen, wie Fortinbras, der idealistische Schlagetot, wohl denken mag. In den Bildern der Unordnung und des Bruchs, einer aus den Fugen gehenden Zeit erkennt man, durch Hamlet, große Veränderungen in der Stellung des Menschen in der Welt, die zu Recht Furcht einflößen, die aber durch Beharren auf der Reinheit von Ideen nicht aufzuhalten sind. Denn das war ja gerade die Erfahrung der Geschichte gewesen, dass sich die reine Idee nicht verwirklichen ließ, ja dass das Streben danach zu um so größerem Unheil geführt hatte: Kern aller Tragik bei Shakespeare.
Zwar hatte auch das Mittelalter den Gedanken der Unvereinbarkeit von Ideen- und Erscheinungswelt gekannt, diese war aber bei Gott und in der Harmonie des Kosmos aufgehoben. Erst im Zeitalter des politischen Realismus und der zweckrationalen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit konnte der seelische Konflikt entdeckt werden, wie er in der Figur Hamlets in unübertroffener Differenzierung verkörpert ist. Sein tragisches Ende bezeichnet diese Unvereinbarkeiten, aber es ist zugleich eine Aufforderung, nicht nach Maximen und Prinzipien zu handeln, sondern Widersprüche kritisch, wach und bewusst auszuhalten, die Trauer ums Verlorene und Versagte weder in Weltentfernung noch in gewalttätigen Aktionismus umschlagen zu lassen (“bereit sein ist alles”).
Shakespeare, so scheint es besonders am Beispiel Hamlets, hatte weit vor der Entstehung der bürgerlichen Geschichtsphilosophie begriffen, dass es unbedingt geltende Erkenntnisse, absolute Werte und unabdingbar geltendes Recht nicht geben kann, sondern dass Sinn nur in Prozeßkategorien gedacht werden kann, als fortgesetzter wandelschaffender Widerspruch. Eine beschränkt tröstliche Einsicht und nicht wenig kompliziert. Die Länge und Kompliziertheit des Stücks trägt dem Rechnung, und es mag einen heutigen Zuschauer erstaunen, dass die zeitgenössischen Zuschauer dieses Stück, die niederen Schichten sogar stehend, immer wieder mit Spannung verfolgten. Fern ihrer eigenen Probleme kann es ihnen nicht erschienen sein.
aus: “Ein Shakespeare für alle”, Begleitbuch zu den Shakespeare-Übersetzungen von Erich Fried; Hrsg. Friedmar Apel, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1968
Nikol Putz vor dem Spielort
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Mit Unterstützung der Firma Linhardt, der Ernst-Pietsch-Stiftung, der Dr. Hans Kapfinger-Stiftung, der Josef-Stanglmeier-Stiftung, der Stadt Viechtach und des Landkreises Regen.
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17.01.2006
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