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Danielle Gaubatz
















aus der Bayerischen Staatszeitung vom 23. September 2001:

Über den Fall eines Sperlings: Der blinde Hass und seine Folgen


Nikol Putz’ überzeugende Hamlet-Inszenierung in der Clean Factory der Firma Linhardt in Viechtach

Von Gerold Sedlmayer.

„Seht ihr das?“ schreit Laertes in ohrenbetäubender Lautstärke auf Claudius ein. „Seht ihr das?“ Und wir sehen, versuchen, in Nikol Putz’ atmosphärischer Inszenierung von Shakespeares Hamlet zu verstehen, warum Ophelia verrückt geworden, warum die Welt denn derart aus den Fugen geraten ist, dass niemand sie mehr einzurenken weiß. Aber das ist doch nur Theater! Oder? Ja, sicher. Nur Theater. Sie wissen schon: Das, in dem der junge Prinz sich an seinem Onkel, dem neuen König, rächen will, weil der nämlich den alten König, Hamlets Vater, umgebracht hat und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, dann auch noch dessen Gemahlin, Hamlets Mutter, heiratet. Ja ja. Ist ja interessant! Aber dann, als nach gut drei Stunden die Tragödie eigentlich ihren Lauf genommen haben sollte, der Großteil der Protagonisten im Blut liegt, und wir getrost und mit intellektueller Überlegenheit nach Hause stolzieren könnten, beschleicht uns das vage Gefühl, dass es hier eben doch noch nicht zu Ende ist. In den Videoinstallationen sowie auf der großen, weißen Leinwand schreitet in Zeitlupe ein weiß-berieselter Feuerwehrmann durch die Trümmerwüste Manhattens; und auf dem Thron kauert der junge Norweger Fortinbras, der die Macht im Staate Dänemark übernommen hat, ein martialisch daherkommender, klumpig daherrotzender Feldherr, dem man wenig Sympathie entgegenzubringen vermag. Hatte Nikol Putz seine Inszenierung eigentlich so konzipiert, dass man darin die immer noch gärende Kontroverse um die 68er-Generation hätte herauslesen sollen, so werfen uns die Szenen des Hasses, der Rache, des Kampfes um Recht und Unrecht gedanklich und emotional immer wieder hinein in die Bilder, die uns wie ein Gespenst jeden Tag seit dem 11. September in allen Zeitungen und auf allen Kanälen heimsuchen. Und wie Hamlet haben wir uns schon alle unzählige Male gefragt, wie wir auf dieses Gespenst reagieren sollen. Der als junge Rocker dargestellte Dänenprinz, der lieber weit weg studieren und eigentlich mit dem Staat wenig zu schaffen haben wollte, wird hineingerissen in einen Strudel des Hasses und der Leidenschaft, den sowohl er als auch die Verantwortlichen immer weiter antreiben anstatt ihn zu bremsen. Man hat das Gefühl, dass keine der Figuren den Mut hat, weiterzudenken oder auch nur zuzuhören. Hamlet, mit unüberlegtem, jugendlichem Übermut stürmisch dargestellt von Johannes Jung, haut mit wenig Kunstfertigkeit (Hauptsache laut! Dann braucht es keine Argumente!) in seine E-Gitarre, so dass die Worte des zwar kriecherischen, aber durchaus selbstbewussten Paradebeamten Polonius (Reinhold Behling) weder für ihn noch für das Publikum hörbar sind. Und auch Hamlets nächste Opfer – die zwischen den Fronten schwankende und zu stark liebende Ophelia (Danielle Gaubatz), oder jene beiden Sündenböcke, Rosenkranz und Güldenstern – wer hört denn ihnen zu? Also: Wer sind denn nun die Schurken in diesem Stück? Der immer unsicherer und steifer werdende Claudius (Wolfgang Rommerskirchen) sowie seine Vogue-lesende Gemahlin Gertrud (Linda Sixt), bei ihrem ersten Auftritt versnobbt in ihren Teetassen rührend, sind in der Tat genausowenig ‘böse’ Gestalten wie Hamlet der Inbegriff des ‘Guten’ und ‘Edlen’ ist. Hier geht es nicht um simple Kategorisierungen, sondern um den diffizilen Widerstreit bestimmter Werte und Weltanschauungen: „denn an sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu“ (Hamlet). Mag man nun im Königspaar das politische Establishment der 68er sehen und in Hamlet einen wilden APO-Aktivisten, oder doch die gegenwärtige Lage, in der es nicht leicht fällt, Hass in Umsicht zu verwandeln, so bleibt doch am Ende der Eindruck, dass Putz, im Sinne Shakespeares, gegen jede Schwarz-Weiß-Malerei anzukämpfen versucht. Kann man es sich wirklich leisten, blindlings auf einen Vorhang zu schießen, in der Hoffnung, zufällig den Richtigen zu erwischen? Macht sich Hamlet dadurch nicht des gleichen Verbrechens schuldig wie Claudius?
Obwohl einige Ideen stringenter hätten umgesetzt werden können, manche Elemente eher irritierend als erhellend wirken, und die Akustik in der Clean Factory mehr als zu wünschen übrig lässt, so ist es Nikol Putz und seinem Theaterensemble doch gelungen, den Hamlet überzeugend und mit spürbarer Leidenschaft umzusetzen. Wieder einmal hat er bewiesen, dass es auch mit wenigen Mitteln, aber dafür mit einer gehörigen Portion Idealismus und Risikofreude, möglich ist, ein ‘schweres’ Stück nach Ostbayern zu bringen. Umso mehr muss man ihm Respekt zollen und sollte es sich nicht entgehenlassen, noch eine Karte für die verbleibenden Vorstellungen zu ergattern.
Weitere Spieltermine: 28., 29., 30. September
Kartenreservierungen: 09942-1661 (Tourist-Information Viechtach)
Preise: DM: 28,- (ermäßigt: 18,-)
Info: www.theaterensemble-nikolputz.de
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Danielle Gaubatz


















aus dem Viechtacher Bayerwaldboten vom 24.09.2001:


Stehende Ovationen für die Hamlet-Premiere


Theaterexperiment von Nikol Putz in der Fabrikhalle geglückt - Zwei Extra-Vorstellungen Anfang Oktober

Von Oliver Hausladen
und Franz Hackl

Viechtach. Ein außergewöhnliches Theaterexperiment ist geglückt: 250 Zuschauer waren am späten Freitagabend tief beeindruckt von "Hamlet" in der Clean Factory der Firma Linhardt. Und: Auf Grund der großen Nachfrage gibt es Zusatzvorstellungen am 5. und 6. Oktober.
Skakespeares "Hamlet", das 400 Jahre alte, bedeutende Werk der Weltliteratur in einer modernen Fabrikhalle - ob das gut geht? Die ungewöhnliche Kombination von Wirtschaft und Kunst, von Arbeitsplatz und Theater darf als gelungen bezeichnet werden. Für die Schauspieler und Regisseur Nikol Putz gab es am Ende der Premiere stehende Ovationen, einzelne Darsteller wurden mit Bravo-Rufen gefeiert.
Vor dem ersten Auftritt war Regisseur Putz noch nervös: "Das Lampenfieber bei Premieren ist halt immer relativ groß", meinte der in Gotteszell wohnende Theatermann bei der Begrüßung der eintreffenden Gäste. Trotz der späten Generalprobe (am Donnerstag wurde noch bis 4 Uhr morgens geübt) wirkte Putz hochkonzentriert und zuversichtlich: Man habe die Herausforderung gesucht und wolle sie auch meistern. Zwanzig Minuten vor Beginn erhielten die Besucher Einlass in die Fabrikhalle, welche die Meisten bisher nur von außen kannten. Groß verändert wurde sie nicht: An drei Seiten waren die Stuhlreihen um die kleine Bühne plaziert, nur ein großes weißes Tuch trennte die Darsteller von den dahinter stehenden Maschinen. Die Bühnenausstattung war bewusst karg gewählt: Eine Schaukel, eine kleine Holzbühne, mehrere Fernseher und eine Gitarre waren in der Halle aufgestellt. Die Darsteller kamen vom dunklen Seitengang, aus der Maschinenhalle oder durch die Zuschauerreihen. Nur wenige Stunden, nachdem die Arbeiter die Clean Factory verlassen hatten, begann kurz nach 21 Uhr die Aufführung mit einer Hommage an die "gastgebende" Firma: Eine Schauspielerin in Linhardt- Produktionskleidung (inklusive weißem Schutzhäubchen) eröffnete "Hamlet" mit dem Einschalten der Musik. Auch aber sonst war der Auftakt für das Shakespeare-Stück alles andere als herkömmlich: Auf das weiße Trenntuch wurde der Text des 60er-Jahre-Hits "Child in Time" projiziert und eine Polizistentruppe stürmte die Spielfläche. "Ich wollte zeigen, dass die Probleme in Hamlet zeitlos sind, und speziell auch auf die 68er- Generation, meine Generation, eingehen", erklärt Putz seine Konzeption.
Dementsprechend waren auch die Kostüme gewählt: Die Schauspieler traten in der Alltagskleidung jener Zeit auf, Hamlet (Johannes Jung) trug anstatt seines Kostüms schon mal einen kurzen Ledermantel und versuchte sich mit der Elektro-Gitarre als Rockmusiker und auch Hamlets Mutter Gertrud (Linda Sixt) hatte die engen Korsetts des Originals mit eleganten Kleidern getauscht.
Das Stück war sehr schnell inszeniert, die einzelnen Szenen gingen fließend ineinander über, es gab nur einePause. Die Handlungsstränge des Originals wurden etwas gekürzt, die Drei-Stunden-Version von Nikol Putz glänzte dafür durch ihre Verständlichkeit. "Kann denn einer stets lächeln und trotzdem ein Schurke sein?", fragte Hamlet das Publikum, das während der gesamten Spielzeit vom Stück gebannt war. Beste Sicht gab es dabei von allen Plätzen, nur die Akustik ließ etwas zu wünschen übrig: Besonders in den hinteren Reihen verstand man nicht jedes Wort der Akteure. "Das war in dieser Halle leider nicht anders zu machen", erläuterte der Regisseur, denn sonst hätte man an der ganzen Decke Lautsprecher anbringen müssen. Aber bei der richtigen Intonation verstehe man das Allermeiste, außerdem böte die Halle "so viele Möglichkeiten, dass ich mit diesem kleinen Manko leben kann". Konnte man auch: Probleme, dem Stück akustisch zu folgen, hatte niemand. "Das Theater ist ein Spiegel des Zeitalters", referiert der Prinz von Dänemark, und bei der Projizierung von Panzern und Feuerwehrleuten auf die Leinwand wurde einem in Anbetracht der jüngsten Terroranschläge in den USA sehr schnell deutlich, wieso die Probleme von Shakespeares Helden heute noch genauso aktuell sind wie 1601. Der Philosoph warnte damals bereits vor Pauschalisierungen und Feinddenken, denn "es gibt an sich weder Gut noch Böse, erst unser Denken macht es dazu".
Dass das elf-köpfige Ensemble ausschließlich aus Profis bestand, merkte man in jeder Szene: Keine Textfehler, absolute Sicherheit in Bewegung und Geste. Besonders hervorzuheben ist die Leistung von Johannes Jung, der den diffizilen Charakter von Hamlet intensiv und glaubhaft vermittelte. Auch Reinhold Beeling als aalglatter Minister Polonius und Danielle Gaubatz als Orphelia wussten bei der Premiere sehr gut zu gefallen. Ein Höhepunkt der Aufführung ist sicherlich die Fechtszene am Ende zwischen Hamlet und Laertes (Gerrit Selmeier), für die Nikol Putz mit Peter Klewitz eigens einen Fechtchoreograpfen engagierte. Ansonsten bleiben die Klingen im Gegensatz zum Original stecken: Der heutigen Zeit entsprechend werden Polonius und Claudius diesmal erschossen. Bemerkenswert ist die Leistung einiger Schauspieler, die bis zu drei Rollen gleichzeitig übernahmen und dabei höchste Verwandlungskünste bewiesen.
Das Publikum bei der ausverkauften Premiere gab sich kurz nach Mitternacht begeistert: Minutenlanger Beifall, man erhob sich von den Plätzen und applaudierte, Bravo-Rufe für Hauptdarsteller und Regisseur. Vollbesetzt waren auch die Aufführungen am Samstag und Sonntag und für die drei Vorstellungen am Wochenende gibt es jeweils nur noch Restkarten. Deshalb haben Ensemble und Linhardt schnell gehandelt und Zusatzvorstellungen für Freitag, 5. Oktober, (21 Uhr) und Samstag, 6. Oktober (20 Uhr) vereinbart; Karten dafür gibt es im Verkehrsamt. Wer sich den Viechtacher Hamlet entgehen lässt, versäumt viel: Ein solches Theaterereignis wird es im Landkreis Regen so schnell nicht wieder geben.
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Linda Sixt, Danielle Gaubatz

















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