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Monolog des Milkaners
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Milkaner-Monolog
Hans (vom Kreuz herunter, Spielmacher hört ihm zu und „mäht“ dann mit einer großen Sense imaginär weiter):
Was sehe ich da?
Ein Bauer sitzt mit einer Fingernagelschere am Golfplatzloch und schneidet Gräser millimeterkurz.
Ein Ball kommt geflogen:
Vorsicht, duck dich! Kopfschuss, tot.
Hast wieder das Schild nicht gelesen: Vorsicht beim Betreten, betreten auf eigene Gefahr. Die nächsten siebzig Meter nicht sitzen bleiben.
Golfbälle von rechts.
Metzgerlehrlinge reißen den hingeschlachteten Kühen die Augäpfel aus dem Schädel und bewerfen sich damit in zerstörerischer Rohheit.
Große eiserne Vögel landen auf zubetonierten Laichplätzen.
Es riecht nicht mehr süß vom Duft der Wiesenblumen.
Der Geruch des Windes beißt mir in der Nase.
Kein Vogelgezwitschern mehr im Sommer.
Kein Zirpen und Summen der Insekten.
Eine wilde Meerkatze sitzt am Fluss und frißt einen vergifteten Fisch.
Das Wasser fließt zu schnell. Die Flut reißt alles mit was sich am Ufer nicht festhalten kann. Auf dem Fluss treibt ein bleiches Gerippe und tanzt in diebischer Freude.
Geniale Zeiten! Die Masse Mensch hat auf einer Pinzette Platz genommen. Die Kälber haben sieben Köpfe und die kleinen Kinder recken ihren Hals zum Gipfel der Berge und ringen um Luft zum Atmen.
Weiße Tauben scheißen mir auf den Kopf. Ihre Exkremente brennen mir ein Loch in die Schädeldecke.
Ehemals freundliche Nachbarn schlagen sich mit langen Messern tiefe Wunden ins Gesicht. Die Rücken der Flüchtenden sind mit aufbrechenden Eiterbeulen übersäht.
Ihre Beine zieren blutigrote Strümpfe.
Die Kurse der Aktien fahren Achterbahn. Der Herzschrittmacher der Welt am Rande des Infarkts.
Ein Mausklick und die Festplatte explodiert.
Error, Schlacht, Krieg, drop out – die Festung Europa erzittert.
Eine Gesellschaft der ganz ganz Reichen skandiert im Siegergeheul: Brot für die Welt, aber die Wurst bleibt da!
In den U-Bahnschächten vegetiert die neue Unterklasse: Obdachlose, Asylanten und ehemalige Patienten aus psychiatrischen Anstalten, die nach staatlichen Einsparungen auf die Straße geschickt wurden.
Im Winter liegen zu Eis erstarrte Gestalten an den Wegrändern, die im atomsicheren und geruchsneutralen Großstadtkeller keinen Platz mehr für ihre Nachtruhe fanden.
Viele sterben an Crack, Kokain und Heroin. Die Jugend wirft sich bunte Glückspillenein und erträumt sich irreale Traumwelten zum Stakkato einer neuen Marschmusik aus überdimensionalen Klangboxen.
Neue und alte Heilsprediger sektieren und predigen mentale Befreiung.
Aus und vorbei.
Es fällt nicht auf, wenn jemand durch den Gully gedrückt wird.
Wenn alle sterben, ist man das Problem endlich los.
Abkommandierte Strafgefangene und arbeitslose Akademiker übernehmen die letzte Abfertigung.
Sie werfen mich in eine Holzkiste. Sie nennen meinen Namen nicht.
Ab in das Massengrab.
Menschlicher Müll wird beseitigt.
Moderne Managergehilfen werden zur Beruhigung der Massen in Handschellen zum Schafott geführt.
Kritische Geistesanstrengung wird zur Made im Speck degradiert und an das Kreuz geschlagen.
Darf bei Bedarf aufkreischen und hat als Bote der Aufklärung seine Schuldigkeit getan.
In den Vorstandsetagen der Wolkenkratzer aber schnippen die Räte vergnüglich mit den Fingern dazu und stampfen hocherfreut mit den belederten Teufelsfüßen im Takt geräuschlos auf dem Naturfaserteppich.
Die Firma kassiert.
Gesattelte Bürokraten erstarren; Schreibtischhengste applaudieren.
Und die Wirtschaftsstrategen rülpsen und schlagen sich freudig dabei auf die Schenkel.
Die öffentliche Meinung sitzt derweil in den Cocktailbars und geniert sich nicht. Sie lernen im weißen Mantel des Schweigens den Bauplan der Maschine lesen, der den Beginn der Endrunde ankündigte und schrieb mit der Handschrift ihrer Arbeit meinen Tod herbei.
Ich will hinunter!
Regener Fassung 1997
Andreas Lechner, Nikol Putz
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